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Archiv-Artikel

„Wo war Ballack?“

Rassistische Äußerungen haben in Fußballstadien immer noch Konjunktur. Das Problembewusstsein in Vereinen und Verbänden ist nicht sonderlich ausgeprägt. England kann hier als Vorbild dienen

AUS BERLIN ANDREAS RÜTTENAUER

Die Kurve ist beinahe sauber. Nur noch wenige Fans mit rechtsradikalem Hintergrund besuchen die Heimspiele des FC Sachsen Leipzig. Die Rechten, die immer noch kommen, halten sich zurück. Es sei ein weiter Weg bis dahin gewesen, sagt Christopher Zenker, Sprecher einer einer Leipziger Faninitiative, die sich nach den rassistischen Ausfällen von Fans des Halleschen FC gegen den Leipziger Spieler Adebowale Ogungbure gegründet hat. „Es hat richtige Prügeleien gegeben in der Kurve“, erinnert sich Zenker, der selbst jede Art von Gewalt ablehnt. Die antirassistischen Fans haben sich ihre Vormachtstellung bei Sachsen Leipzig im wahrsten Sinne des Wortes erkämpfen müssen. Daneben setzten Fanclubs und vor allem die bunte Ultra-Szene immer wieder mit Transparenten und Sprechchören Zeichen gegen rechts. Wenn es Aktionen gegen Rassismus in den Stadien gebe, so Zenker, dann seien es meist Fans, die sie initiierten.

Die Vereine hielten sich zurück, duldeten die Aktionen gerade einmal und würden erst dann tätig, wenn es zu gewalttätigen Ausschreitungen komme, die ein hörbares Medienecho nach sich ziehen. Auch Michaela Glaser, Soziologin beim Deutschen Jugendinstitut, diagnostiziert bei den Vereinen und Verbänden mangelndes Problembewusstsein. Sie referierte am Dienstagabend auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel „Rechtsextremismus im Stadion – unschöne Einzelfälle oder politische Gefahr“ über die Unterschiede der Antirassismuskampagnen in Deutschland und England. Auf der Insel laufe seit Jahren schon das Projekt „Let’s kick racism out of football“, für das Vereine und Verbände alljährlich Millionenbeträge aufbringen, um gezielte Kampagnen anzuschieben. Spieler, auch die ganz großen Stars, werden geschult, werden in Schulen und Jugendeinrichtungen geschickt, um mit Kindern und Jugendlichen über Rassismus zu diskutieren.

Gerd Dembowski, Sprecher von „Flutlicht, Verein für antirassistische Fußballkultur“ war einmal dabei, als Thierry Henry, französischer Nationalspieler in Diensten von Arsenal London, mit Kindern in einer Londoner Schule diskutiert hat. Er war erstaunt. „Der konnte sich richtig gut zum Thema artikulieren“, sagte er am Dienstag. Und: „Der kann mehr geben als nur sein Gesicht.“

Bei deutschen Nationalspielern könne man sich derartiges nicht vorstellen. „Wo Fußballer als Arbeitnehmer dazu angehalten werden, möglichst wenig zu sagen, um nichts Falsches zu sagen“, sei in dieser Hinsicht nicht viel zu erwarten, fügte Michaela Glaser an.

Gerd Dembowski erinnerte an die Urwaldgeräusche aus der Fankurve von Hansa Rostock II, mit der der Schalker Gerald Asamoah zu Saisonbeginn in einem DFB-Pokalspiel beleidigt worden war. „Wo war denn da der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft? Wo war Michael Ballack?“, fragte er. Immerhin würdigte Dembowski die Anstrengungen des Deutschen Fußballbundes (DFB), der sich, seit Theo Zwanziger das Präsidentenamt übernommen hat, ernsthaft mit dem Thema Rassismus beschäftige.

Mit Gül Keskinler wurde eine ehrenamtliche Integrationsbeauftragte in den Vorstand des Verbandes berufen. Auch sie war am Dienstag zur Diskussion geladen. Sie will vor allem in der Ausbildung der Übungsleiter ansetzen und warnte zugleich vor allzu hohen Erwartungen. Immer weniger Menschen seien bereit, sich ehrenamtlich in den Vereinen zu engagieren, man müsse also darauf achten, dass die freiwilligen Vereinsarbeiter nicht noch weiter mit Aufgaben überfrachtet werden. Der Rechtsextremismus, der Rassismus als gesellschaftliches Phänomen, sei ohnehin nicht vom Fußball alleine zu besiegen. Martin Gerster, Sportpolitiker und Rechtsextremismusexperte in der SPD-Bundestagsfraktion, stieß ins selbe Horn. Sein Ausführungen blieben auch deshalb so oberflächlich, weil er immer von der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung redete.

Warum es immer wieder gerade in Fußballstadien zu Ausbrüchen von Rassismus kommt, erklärte die Soziologin. Michaela Glaser wies darauf hin, dass es bestimmte Formen der Fußballkultur seien, die den idealen Hintergrund für rechtsextreme Einstellungen abgeben würden. Beinahe nirgendwo anders in der Gesellschaft würden derart „einseitig überhöhten Formen einer archaischen Männlichkeit“ gehuldigt wie in den Fanblocks. Auch Frauenfeindlichkeit und Homophobie sind bei vielen Anhängern genauso verwurzelt wie der Rassismus. Saubere Kurven wird es in dieser Hinsicht so schnell also nicht geben in Deutschland.